Das Buch des Grünsprossenhofes, Kapitel 2: Xadanes Ankunft

Missmutig betrachtete die junge Elfe ihre abgetragenen Lederstiefel. Die waren nun wirklich mehr als reparaturbedürftig und passten ihr auch nicht wirklich. Sie hatte sie von einem feindlichen Krieger erbeutet und nur angezogen, weil ihre eigenen schon am auseinanderfallen waren. Ein feindlicher Pfeil hatte die Kappe des einen nach innen gedrückt, was eine schmerzhafte Druckstelle an der großen Zehe zur Folge hatte und was den Geruch anging, der Vorbesitzer hatte eindeutig kein gesteigertes Reinlichkeitsbedürfnis gehabt...Seufzend erhob sie ihren Blick wieder und schlurfte weiter. Es wurde langsam Zeit, dass sie im Grünsprossenhof ankam. Ein flüchtiges Lächeln erhellte ihre Züge, als sie daran dachte, dass sie dort Lewrim wiedersehen würde, den freundlichen Jäger, der ihr den Weg in die Gilde wies und sie auch bei ihrer Aufgabe als Anwärterin so tatkräftig unterstützt hatte.
Der Weg war staubig, heiss und schnurgerade und so schweiften ihre Gedanken zurück zu den Ereignissen, die sie an genau diese Stelle hier gebracht hatten. Einige Wochen zuvor hatte sie ihre Freundin Fizzlipuzzli getroffen, die ihr von ihrer neuesten Bekanntschaft erzählte, dem Nachtelfenjäger Lewrim, mit dem sie einige aufregende Abenteuer im Teufelswald erlebt hatte.
Xadane wurde beim zuhören richtig neugierig auf diesen tapferen Elfen, und auch ein bisschen neidisch auf Fizzlipuzzli, weil die es immer fertig brachte, so interessante Leute kennenzulernen. Und welch ein Glück, bei ihrem nächsten Treffen war Lewrim anwesend und auch ihr auf Anhieb sympathisch. Dass das auf Gegenseitigkeit beruhte, wagte sie erst gar nicht zu hoffen, zu jung und unerfahren erschien sie sich. Umso unerwarteter kam dann die Einladung Master Lewrims, sich seiner Gilde anzuschliessen- ausgerechnet sie, die kleine, unerfahrene Xadane, die aus Teldrassil ausgebüchst war, um auf der Blutmythosinsel Erfahrungen zu sammeln! Und dann feststellen musste, dass es in der weiten Welt ganz anders zuging als zuhause, wäre sie bloss bei ihren Eltern geblieben. Aber die wollten sicher nichts mehr von ihrer undankbaren Tochter wissen...
Langsam begannen ihre Füsse in den Stiefeln zu kochen, allein der Blick auf die spitzen Kiesel des Weges hielt sie davon ab, barfuss weiterzulaufen. Ein Blick zum Horizont zeigte die Silhouette eines schattigen Waldes in der Ferne...wäre sie nur schon dort, kühlendes Moos für die Füsse und vielleicht eine Quelle für den Durst, in ihrer Wasserflasche befand sich nur noch ein schaler, lauwarmer Schluck mit dem Aroma von altem Leder..."Reiss dich zusammen, du wolltest es ja so!" trieb sie sich selbst weiter und versank wieder in angenehme Erinnerungen...
So würde sie sich den Weg verkürzen. Auf der Blumythosinsel hatte sie ihre Aufnahmenprüfung für die Gilde gemacht, Master Lewrim an ihrer Seite. Es war traurig gewesen. Eine Frau hatte sie angesprochen, sie sähe jung und tapfer aus und ob es ihr möglich wäre, auf ihren Wanderungen nach ihrem verschollenen Mann Ausschau zu halten. Natürlich wollte sie das tun, vor allem, als Master Lewrim seine Hilfe zusagte. Gemeinsam gingen sie auf die Suche. Wie sich herausstellte, war der Mann von den Sonnenfalken verschleppt worden und sie Beide setzten alles daran, ihn zu befreien. Selten hatte sie so gut gekämpft, in dem Bewusstsein, dass Master Lewrim und Tier ihr zur Seite standen, immer wenn es brenzlig wurde...Und dann das Lob von diesem erfahrenen Kämpfer, ihre Ohren erglühten immer noch vor Stolz. Und dann das unaussprechliche Leid: Der Mann der armen Frau war bereits getötet worden und nur sein Geist sprach zu ihnen. Sie sollten doch bitte sein Amulett zu seiner geliebten Frau bringen, dann wäre er erlöst. Einer der Sonnenfalken hätte es ihm entrissen. Der darauffolgende Kampf war ein Fiasko fur die Sonnenfalken geworden, zu hoch waren ihre Emotionen. Auch Tier und ihre Begleiterin Xamiri fuhren vernichtend unter die Feinde...
Xamiri, wo war die eigentlich? Ein schriller Pfiff, und schon war sie wieder an ihrer Seite, zufrieden einen Fleischschenkel kauend. Vor Xadanes geistigem Auge erschien das traurige Gesicht der Frau, als sie ihr die schlechte Nachricht brachten. Ihre Dankbarkeit für das Amulett schien Xadane fast unerträglich, nur Master Lewrims weise Worte, dass sie die Frau aus ihrer Ungewissheit erlöst hätten, spendeten Trost.
Xadane blickte auf, als ihre Füsse im weichen Moos versanken...welche Wohltat! Sofort riss sie sich die schmerzenden Stiefel von den Füssen und ging barfuss weiter. Xamiri schnupperte an den Stiefeln und nieste angewidert, worauf Xadane in ein fröhliches Lachen ausbrach.
Beschwingter nun, in dem Bewusstsein, sich ihrem Ziel zu nähern schritt sie aus und konnte bald die Tore des Grünsprossenhofes erkennen. Überwältigt blieb sie stehen, gar zu schön waren die elfischen Ornamente, die überall mit überragender Handwerkskunst angebracht waren...so schön sollte sie nun wohnen.
Vorsichtig spähte sie durch die geöffneten Torflügel und erblickte zu ihrer Freude Master Lewrim, der seinem Amt als Waffenmeister nachkam und einen Übungskampf mit einem anderen Elfen bestritt...
Mit einem glücklichen Lächeln betritt sie den Hof, Xamiri zur Seite.